Kompetenz-Kompetenzen der Europäischen Union

I. Flexibilitätsklausel

Die Flexibilitätsklausel des Art. 308 (352) Abs. 1 AEUV ermöglicht es der Union, zur Verwirklichung der überaus weit gesteckten Ziele der Verträge durch geeignete Vorschriften des Rates, im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche tätig zu werden, auch wenn die Verträge die dafür erforderlichen Befugnisse nicht vorsieht. Auf dieser Grundlage kann sich die Union so gut wie jede Befugnis verschaffen, ohne daß die Mitgliedstaatendem zustimmen müssen. Letztere können lediglich ihre (kläglichen) Einwen-dungen aus dem Subsidiaritätsprinzip zur Geltung bringen (Abs. 2). Diese Kompetenz-Kompetenz geht deutlich über die bisherige Generalklausel des Art. 308 EGV hinaus, welche auf die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beschränkt war. Lediglich Harmonisierungsverbote dürfen nicht ü-berspielt werden (Abs. 3) und die Verwirklichung von Zielen der Gemeinsa-men Außen- und Sicherheitspolitik darf nicht auf diesen Artikel gestützt werden (Abs. 4).

Der Rat muß die Vorschriften einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen. Der Rat kann sie auch in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen, wieder auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parla-ments. Ausschließlich Unionsorgane erlassen somit die Vorschriften, welche die vertraglichen Ermächtigungen, die ohnehin äußerst weit gefaßt sind, wei-ter ausdehnen und auf neue Politiken erstrecken können, soweit das die Ziele der Union zulassen, folglich grenzenlos. Nur die in den Verträgen festgeleg-ten Politikbereiche bilden eine Grenze. Das sind alle Zuständigkeiten. Art. 308 (352) AEUV ermöglicht der Union Steuerpolitik jeder Art, Sozialpolitik jeder Art, Wirtschaftspolitik jeder Art, Justizpolitik jeder Art, Polizeipoli-tik jeder Art usw. Die Steuer-, Sozial-, Wirtschafts-, Justiz- und Polizeipolitik (usw.) der Mitgliedstaaten kann auf dieser Grundlage systemisch umgestaltet werden, auch soweit sie nicht schon nach den bisherigen Verträgen einem u-nionsrechtlichen System folgt. Die Kompetenz-Kompetenz des Art. 308 AEUV ist nicht nur mit dem demokratischen Prinzip nicht zu vereinbaren, zumal sie die Exekutiven ermächtigt. Das Europäische Parlament leistet keine demokratische Legitimation, weil es kein Volk vertritt, aber auch und insbesondere, weil es nicht gleichheitlich gewählt ist . Die Ermächtigung ist deutlicher Ausdruck der existentiellen Staatlichkeit der Union. Der Hinweis in Absatz 2 des Art. 308 (372) AEUV auf das Subsidiaritätsverfahren ist von geringer praktischer Bedeutung. Das Baugesetz Demokratie, auch soweit es unabänderlich ist, wird durch diese Ermächtigung mißachtet.

II. Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung

Der Vertrag von Lissabon hat trotz des deutschen Maastricht-Urteils, das der großen Generalklausel, der Kompetenz-Kompetenz des Art. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV) (zur Rettung des Vertrages) die rechtliche Verbindlichkeit abgesprochen hat 714 , in Art. 269 (311) Abs. 1 AEUV eine fast gleich-lautende Bestimmung beibehalten, diese allerdings in den Titel II des Fünften Teils, der die Finanzen der Union regelt, gestellt, also auf Mittel zur Finanzie-rung des Haushaltes der Union begrenzt. Jetzt aber wird ein klar geregeltes Verfahren für die Umsetzung dieser Generalermächtigung eingeführt, nämlich nach Absatz 3 Unterabsatz 1 einen Beschluß des Rates, den dieser einstimmig nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Eu-ropäischen Parlaments erläßt, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Dieser Beschluß kann neue Kategorien von Eigenmitteln einführen, aber auch bestehende Kategorien ab-schaffen. Die neuen Kategorien von Eigenmitteln können auch europäische Steuern sein.

Dieser Beschluß tritt wiederum erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft. Der Beschluß ist kein völkerrechtlicher Vertrag. Ratifikationsverfahren sind auch nicht vorgesehen. Folglich genügt nach der Praxis der auswärtigen Politik (nach der Beteiligung des Nationalrates gemäß Art. 23e B-VG) die Zustimmung der Bundesregierung 715 , die demgemäß die Macht erlangt, Öster-reich mit ungeregelten finanziellen Lasten, auch Unionssteuern, zu belasten. Das „besondere Gesetzgebungsverfahren“ ist in Art. 249a (289) Abs. 2 AEUV geregelt. Wenn das Europäische Parlament anzuhören ist, entspricht das der dort vorgesehenen Beteiligung desselben. Folglich bedarf die Einfüh-rung von neuen Kategorien von Eigenmitteln keinerlei Zustimmung eines Parlaments. Diese Maßnahme ist reiner Exekutivakt. Der Beschluß des Rates gilt nach Art. 249a (289) Abs. 3 AEUV als „Gesetzgebungsakt“. Das ist mit dem demokratischen Prinzip unvereinbar.

Nach Absatz 3 Unterabsatz 2 des Art. 269 (311) AEUV werden Durchfüh-rungsmaßnahmen zu dem System der Eigenmittel der Union durch Verord-nungen nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren festgelegt, sofern dies in den nach Absatz 3 erlassenem Beschluß vorgesehen ist. Die Durchfüh-rungsmaßnahmen beschließt der Rat nach Zustimmung des Europäischen Par-laments. Die nationalen Parlamente sind wiederum nicht einbezogen.

Die Union kann sich also Eigenmittel verschaffen, indem sie ohne jede Be-teiligung der nationalen Parlamente, nur aufgrund der Beschlüsse des Rates, die allein von dem Willen der Regierungen abhängen, ein System von Eigen-mitteln der Union schafft, das durch Verordnung des Rates, das nicht der Ein-stimmigkeit, aber der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf, durchgeführt wird. Diese Bestimmung ermächtigt zur Steuererhebung der U-nion, ist gänzlich unbestimmt und mit der Steuerhoheit als wesentlichem Teil der existentiellen Staatlichkeit der Völker schlechterdings unvereinbar. Die bereits im Maastricht-Prozeß gescheiterte Regelung des Abs. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV) wird aufrecht erhalten, die formalen Schwächen (Rechts-subjektivität der Europäischen Union, unklare Verfahrensregelungen) sind behoben, die entscheidende Schwäche der Verletzung der existentiellen Staat-lichkeit (Souveränität) der Mitgliedstaaten jedoch nicht.

Die Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung ist eine Gesamtänderung der Bundesverfassung, die aber wegen Art. 1 B-VG auch durch Abstimmung des ganzen Bundesvolkes nicht eingeführt werden darf.

III. Vereinfachte Änderungsverfahren

1. Art. 48 Abs. 6 EUV

Das „vereinfachte Änderungsverfahren“ nach Art. 48 Abs. 6 EUV schafft ein Ermächtigungsgesetz und ist fraglos eine Gesamtänderung der Bundesver-fassung. Es wäre aber auch demokratie- und verfassungswidrig, wenn es die Zustimmung des ganzen Bundesvolkes nach Art. 44 Abs. 3 B-VG fände. Nach Art. 48 Abs. 6 EUV kann der Europäische Rat durch Europäischen Be-schluß einstimmig nach (bloßer) Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich, der Europäischen Zentralbank auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedstaa-tes, des Europäischen Parlaments oder der Kommission „alle oder einen Teil der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ändern. Dieser Dritte Teil umfaßt alle wichtigen Politi-ken der Union, nämlich den freien Warenverkehr mit der Zollunion, die Landwirtschaft, die Freizügigkeit, den freien Dienstleistungs- und Kapitalver-kehr (also den Binnenmarkt und die Grundfreiheiten), den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, den Verkehr, die Gemeinsamen Regeln betref-fend den Wettbewerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften, Wirtschafts- und Währungspolitik, Beschäftigung, Gemeinsame Handelspoli-tik, Zusammenarbeit im Zollwesen, Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung und Jugend, Kultur, Gesundheitswesen, Verbraucherschutz, transeu-ropäische Netze, Industrie, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, For-schung und technologische Entwicklung, Umwelt, Entwicklungszusammen-arbeit, wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Dritt-ländern.


Der Beschluß tritt zwar nach Unterabs. 2 S. 3 des Art. 48 Abs. 6 EUV „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen ver-fassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“, aber der Beschluß ist kein Staats-vertrag im Sinne des Art. 50 B-VG, welcher der Zustimmung des Nationalra-tes und des Bundesrates (Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 4) und der Ratifikation durch den Bundespräsidenten (Art. 65 Abs. 1 B-VG) bedarf. Aufgrund ihrer außen-politischen Befugnisse kann die Zustimmung von der Bundesregierung oder auch nur von dem zuständigen Bundesminister erteilt werden.

Der Bundeskanzler ist nach Art. 23e Abs. 2 B-VG bei der Abstimmung im Europäischen Rat an die Stellungnahme des Nationalrates, dem nach Absatz 1 dieser Vorschrift Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, gebunden. A-ber er darf davon nach S. 2 „aus zwingenden außen- und integrationspoliti-schen Gründen“ abweichen. Die Integrationspolitik vermag sich somit durch-zusetzen. Die genannten Gründe sind eine Frage der Außenpolitik, die regel-mäßig als nicht judiziabel gilt 716 . Ein Rechtsakt im vereinfachten Änderungs-verfahren kann und wird regelmäßig „eine Änderung des geltenden Bundes-verfassungsrechts“ bedeuten, so daß nach Absatz 3 des Art. 23e B-VG „eine Abweichung jedenfalls nur zulässig ist, wenn ihr der Nationalrat innerhalb angemessener Frist nicht widerspricht“. Wegen des „jedenfalls“ (ein mehr als unklarer Tatbestand) ist davon auszugehen, daß die Bundesregierung letztlich den integrationspolitischen Zwängen gemäß Absatz 2 S. 2 folgen darf. Dafür spricht auch die Pflicht nach Absatz 4 S. 2, das Abweichen von der Stellung-nahme des Nationalrates diesem unverzüglich zu begründen. Folglich ist auch im Falle des Absatz 3 ein Abweichen der Bundesregierung möglich. Die Zu-ständigkeiten des Nationalrates obliegen nach Absatz 5 im übrigen grundsätz-lich dessen Hauptausschuß (oder auch nur einem eigenen ständigen Unte-rausschuß). Das Bundesvolk wird jedenfalls in die Willensbildung nicht ein-bezogen. Die Parlamentarier pflegen im parlamentarischen Regierungssystem zumal, wenn große Koalitionen regieren, in ihrer Mehrheit unbesehen der In-tegrationspolitik der Regierung zu folgen.

Der Beschluß des Europäischen Rates ändert die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union nicht. Bereits der Reformvertrag ermöglicht diese Änderungen oder Ergänzungen, falls dieser insgesamt und insbesondere für Österreich verbindlich wird.

Der Beschluß darf zwar nach Unterabsatz 3 des Art. 48 Abs. 6 EUV „nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen“, aber diese Zuständigkeiten sind in Art. 2b (3) des Vertrages über die Arbeitsweise der Union als ausschließliche Zuständigkei-ten und in Art. 2c (4) AEUV als geteilte Zuständigkeiten geregelt. Hinzu kommen die weiteren Zuständigkeiten zur Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik sowie der Sozialpolitik in Art. 2d (5) AEUV und zu Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit, zur Industrie, zur Kultur, zum Tourismus, zur allgemeinen und beruflichen Bildung, zur Jugend und zum Sport, zum Katastrophenschutz und zur Verwaltungszusammenarbeit nach Art. 2e (6) AEUV. Alle Zuständigkeiten sind denkbar weit formuliert. Die Politiken des Dritten Teils des Vertrages von Lissabon sind nicht als Zu-ständigkeiten bezeichnet. Sie regeln die Grenzen der Ermächtigungen, die folglich ohne Zuständigkeitsänderung erweitert werden können, die Verfahren der Politiken, die ebenfalls ohne Zuständigkeitsänderung verändert werden können, indem etwa Organe in die Verfahren integriert oder Organe aus den Verfahren desintegriert werden, u.a.m. Absatz 6 des Art. 2a (2) AEUV, der für den „Umfang der Zuständigkeiten der Union auf die Einzelheiten ihrer Ausübung“ auf die „Bestimmungen der Verträge zu den einzelnen Bereichen“ verweist, grenzt die Weite der Ermächtigung nicht ein. Zum einen sind die Befugnisse in den verschiedenen Bereichen außerordentlich weit und zum an-deren ist in Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV geregelt, daß der Beschluß des Eu-ropäischen Rates „nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen“ dürfe, nicht aber zur Ausdeh-nung des Umfanges der Zuständigkeiten.

Das vereinfachte Änderungsverfahren überträgt die Verfassungshoheit wei-testgehend dem Europäischen Rat, den Führern der Union. Nicht einmal das Europäische Parlament muß zustimmen, geschweige denn die nationalen Par-lamente. Diese Generalklausel ist ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag von Lissabon erweiterten existentiellen Staatlichkeit der Europäischen Union, welche durch diese Ermächtigung weitestgehende Verfassungshoheit ge-winnt, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein, schon gar nicht durch ein Unionsvolk mit originärer Hoheit.

Mit dem Demokratieprinzip ist das „vereinfachte Änderungsverfahren“ schlechterdings unvereinbar. Schon deswegen ist die Einführung dieses Ver-fahrens eine Gesamtänderung der Bundesverfassung, zu deren Strukturprinzi-pien (Baugesetze) das demokratische Prinzip gehört. Aber auch diese Ge-samtänderung kann nicht einmal das ganze Bundesvolk beschließen, wenn Österreich eine „demokratische Republik“ bleiben will (Art. 1 S. 1 B-VG). Das vereinfachte Änderungsverfahren erleichtert die Totalrevision der inter-nen und weitgehend der externen (insbesondere die Handelspolitik) Politikbe-reiche der Union und macht diese nicht nur von der Zustimmung der nationa-len Parlamente unabhängig, sondern vor allem von der gegebenenfalls vorge-schriebenen Zustimmung der Völker, also Volksabstimmungen, an denen die Verfassungsänderungen allzu leicht scheitern, insbesondere wenn sie die Wirtschaft-, die Währungs- und noch stärker die Sozialpolitik betreffen, aber auch die Polizeipolitik und die Justizpolitik, wie die wesentlich weiterentwi-ckelte Politik des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Bemerkt sei, daß die geteilte Zuständigkeit nach Art. 2c (4) AEUV für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt allemal auch die (in der Integrationspolitik für dringlich gehaltene) Angleichung der mitgliedstaat-lichen Steuer- und Sozialpolitik umfaßt. Schon jetzt sind steuerliche Vor-schriften in Art. 90 (93) AEUV enthalten, welche auf die Verwirklichung und das Funktionieren des Binnenmarktes und die Vermeidung von Wettbewerbs-verzerrungen ausgerichtet sind. Zu diesem Zweck ist weitere Steuerpolitik denkbar, vielleicht sogar nützlich. Derzeit beschließt der Rat nach Art. 93 EGV auf Vorschlag der Kommission, aber einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Das kann Änderungsinteressen mit sich bringen, denen Art. 48 Abs. 6 AEUV ein hilfreiches Verfahren bietet.

Das vereinfachte Änderungsverfahren ist ein Ermächtigungsgesetz für den Europäischen Rat, das es diesem erlaubt, die innere und weitgehend auch die äußere Ordnung der Union und damit die der Mitgliedstaaten umzuwälzen. Nur die Außen- und Sicherheitspolitik ist von diesem Verfahren ausgenom-men. Mit der Zustimmung zu dem Vertrag von Lissabon ermächtigt die Re-publik Österreich die Europäische Union zu jedweder materialen Änderung der Bundesverfassung. An diesen Änderungen wirkt für Österreich, wie dar-gelegt, maßgeblich nur der Bundeskanzler mit, weil der Europäische Rat ein-stimmig entscheiden muß. Das vereinfachte Änderungsverfahren ist der Sache nach eine Diktaturverfassung, die kaum noch einen demokratischen Rest aufweist.

Der Maastricht-Vertrag enthielt eine vergleichsweise Regelung nicht. Art. F III, jetzt Art. 6 Abs. 4 EUV, wonach sich „die Union mit den Mitteln ausstat-tet, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erfor-derlich sind“, war nach dem Maastricht-Urteil des deutschen Bundesverfas-sungsgerichts nur eine politische Absichtserklärung ohne rechtliche Verbind-lichkeit 717 . Das österreichische Volk wird durch die Ermächtigung des Art. 48 Abs. 6 EUV entmachtet und verliert seine Verfassungshoheit weitestgehend. Dem kann kein Volk zustimmen, das ein eigenständiger, existentieller Staat bleiben will. Keinesfalls kann der Nationalrat, die Vertreter des Volkes, durch seine Zustimmung zu einem solchen Vertrag das Volk entmachten.

Art. 48 Abs. 6 EUV ermöglicht es dem Europäischen Rat, die nationalen Gesetzgebungsorgane zu überspielen. Wenn eine Politik an den nationalen Parlamenten zu scheitern droht, kann der Europäische Rat den Vertrag über die Arbeitsweise der Union ändern und dadurch die Politik verbindlich ma-chen.

2. Art. 48 Abs. 7 EUV

Hinzukommt das vereinfachte Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 7 EUV (Passerelleverfahren), wonach der Europäische Rat durch einen Be-schluß in einem Bereich oder einem bestimmten Fall, in dem der Rat nach dem Verfassungsvertrag einstimmig zu beschließen hat, entscheiden kann, daß die qualifizierte Mehrheit genügt (Unterabsatz 1). Nach Unterabsatz 2 dieser Vorschrift können erforderliche besondere Gesetzgebungsverfahren auch durch das (leichtere) ordentliche Gesetzgebungsverfahren ersetzt wer-den. Allerdings können die nationalen Parlamente eine Initiative im Sinne des Unterabsatzes 1 und des Unterabsatzes 2 ablehnen (Unterabsatz 3). Die ge-nannten Beschlüsse müssen zudem nicht nur einstimmig ergehen, sondern be-dürfen auch der Zustimmung des Europäischen Parlaments mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Unterabsatz 4). Das Mehrheitsverfahren ist sicher effizien-ter als das Konsensverfahren, aber ebenso sicher auch weniger demokratisch, weil der Wille ganzer Völker unbeachtet bleiben kann. Bemerkenswert ist, daß die vereinfachten Änderungsverfahren in dem Entwurf des Verfassungs-konvents vom 19./20. Juni 2003 noch nicht enthalten waren.

IV. Unionsbürgerschaft

Die Unionsbürgerschaft baut der Vertrag von Lissabon weiter zu einer Bür-gerschaft aus, als hätte die Europäische Union ein Volk. Die Verfassungswid-rigkeit der Vertragsentwicklung liegt darin, daß die Bürger der Mitgliedstaa-ten zu Unionsbürgern stilisiert werden, obwohl der Schritt, der sie zu echten Bürgern eines existentiellen Unionsstaates (als Bundesstaat) werden ließe, die Verfassung der Bürger der Mitgliedstaaten zu einem Unionsvolk des Unions-staates nämlich, nicht gegangen wird. Dieser Schritt kann nur durch ein Ver-fassungsreferendum aller Unionsbürger gemacht werden, der aber die Öff-nung aller Mitgliedstaaten für den existentiellen Unionsstaat voraussetzt, wie-derum durch Referenden, aber Referenden jedes einzelnen Volkes der Mit-gliedstaaten. Weil ein solcher existentieller Schritt keinen Erfolg verspricht, wird er nicht gewagt. Darum sind und bleiben die Versuche, die Texte in die Nähe demokratischer Legitimation einer Unionsbürgerschaft zu rücken, wie insbesondere die Erklärung, das Europäische Parlament setze sich aus „Ver-tretern der Unikonsbürgerinnen und Unionsbürgern zusammen“ (Art. 9a (14) Abs. 2 S. 1 EUV) und die „Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten“ (Art. 8a (10) Abs. 2 UAbs. 1 EUV) verfassungswidrig, ja staatswidrig. Ihre rechtliche Relevanz scheitert, solange Art. 1 S. 2B-VG besteht, daß nämlich „Das Recht vom Volk aus-geht“ 718 . Dieser Satz aber steht nicht zur Disposition der Staatsorgane.

Der Gerichtshof hat die Unionsbürgerschaft als unmittelbar anwendbares Recht eingestuft. In der Rechtssache Martinez Sala hat der Gerichtshof in die Unionsbürgerschaft auch die Gewährung von Erziehungsgeld, welches nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz an eine Aufenthaltserlaubnis anknüpfte, und damit Sozialleistungen einbezogen 720 . Dem entsprechend hat er in der Rechtssache Grzelcyk festgestellt, daß die Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch einen Studenten nicht ohne weiteres rechtfertige, die Aufenthaltser-laubnis zu entziehen 721 . Dieses Ergebnis beruht auf der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

Die Unionsbürgerschaft sieht man „durch besondere Offenheit und Dyna-mik gekennzeichnet“. Dafür spricht die Evolutivklausel in Art. 22 (25) Abs. 2 AEUV, die es dem Rat ermöglicht, die Unionsbürgerrechte im besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Ergänzung der in Art. 17b (20) Abs. 2 AEUV aufgeführten Rechte Bestimmungen zu erlassen (S. 1).

Die Bestimmungen treten nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit deren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft (S. 2). Der Genehmigung des Nationalrates und/oder der Zustimmung des Bundesrates bedürfen diese Bestimmungen wiederum nicht, geschweige denn der Abstimmung des gesamten Bundesvolkes. Auch Art. 18 (21) Abs. 2 und Abs. 3 AEUV ermächtigen das Europäische Parlament und den Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften zu er-lassen, mit denen die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 des Art. 18 (21) AEUV erleichtert wird. Nach dieser Vorschrift hat „jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten“.

„Zu den gleichen wie den in Absatz 1 genannten Zwecken kann der Rat, sofern die Verträge hierfür keine Befugnisse vorsehen, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfah-ren Maßnahmen erlassen, die die soziale Sicherheit oder den sozialen Schutz betreffen“ (Abs. 3 S. 1). Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments (S. 2).

Beide Ermächtigungsvorschriften sehen nicht vor, daß die Parlamente der Mitgliedstaaten in irgendeiner Weise an der Rechtsetzung beteiligt werden. Im Falle der zweiten Vorschrift wird das Eu-ropäische Parlament auch nur angehört. Der Entwicklung des Status der Uni-onsbürger sind nach den aufgeführten Ermächtigungsvorschriften so gut wie keine Grenzen gesetzt. Die Union kann die Bürger mehr und mehr für sich in Anspruch nehmen, gegebenenfalls auch das Wahlrecht in den Ländern und im Bund auf alle Unionsbürger nach gewissem Aufenthalt ausdehnen, wie es für die Kommunalwahlen im Vertrag (Art. 19 (22) Abs. 1 AEUV) geschehen ist. Das verändert mit dem Wahlvolk das Volk des jeweiligen Mitgliedstaates. Vor allem kann die Union ohne jede parlamentarische Zustimmung das Sozi-alrecht der Unionsbürger gestalten und damit tief in die sozialen Sicherungs-systeme der Mitgliedstaaten eingreifen. Das kann auch die Minderung der so-zialen Schutzstandards mit sich bringen. Mit dem demokratischen Prinzip der Republik ist das unvereinbar.


V. Subsidiarität

Der Vertrag von Lissabon verankert das Subsidiaritätsprinzip in Art. 3b (5) Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und 4 als Ausübungsregelung neben dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung (Absatz 1 S. 1 und Absatz 2) und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Absatz 1 S. 2 und Absatz 4).

„Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind“ (Absatz 3).

Diese Regelung ist unverändert der Kritik des gemeinschafts-/unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips 723 ausgesetzt. Soweit der Bereich ausschließlicher Unionszuständigkeiten betroffen ist, wird die Anwendbarkeit des Prinzips der Subsidiarität bereits durch den Vertrag (Art. 3b (5) Abs. 3 EUV, bislang Art. 5 Abs. 2, 1. Hs. EGV) ausdrücklich ausgeschlossen. Die konkurrierende Kompetenzausübung aufgrund der geteilten Zuständigkeit der Union (Art. 2c (4) AEUV) ist wegen der durch das offene Subsidiaritätsprinzip nicht bestimmten Zuständigkeitsbereiche der Union und der Mitgliedstaaten letztlich der Finalität des Integrationsprozesses verpflichtet . Für die Notwendigkeit
(„besser zu verwirklichen“) der Angleichung des mitgliedstaatlichen Rechts lassen sich „wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkungen auf Unionsebene“ stets „Ziele“ der Union aufzeigen, welche die Zuständigkeit der Union recht-fertigen. Der Versuch einer Begrenzung der Unionszuständigkeiten durch das Subsidiaritätsprinzip, wie es Art. 3b (5) Abs. 3 EUV (bislang Art. 5 Abs. 2 EGV) formuliert, ist folglich untauglich und damit zum Scheitern verurteilt 726 . Die Praxis des Subsidiaritätsprinzips beweit das 727 . Wichtig ist allemal, wer mit welcher Intention über die Subsidiarität befindet.

Neu ist allerdings, daß die nationalen Parlamente auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips achten können (und sollen, Art. 3b (5) Abs. 3 Unte-rabs. 2 S. 2 EUV). Das Nähere ist im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit geregelt. Danach leitet die Kommission ihre Entwürfe für Gesetzgebungsakte und ihre geänderten Entwürfe (Vorschläge) den nationalen Parlamenten und dem Unionsgesetzgeber gleichzeitig zu (Art. 4 Abs. 1 des Protokolls). Das machen auch die anderen zu Entwürfen von Gesetzgebungsakten berechtigten Organe (Art. 4 Abs. 2 und 3 des Protokolls) und gilt auch für legislative Entschließungen und Standpunkte des Europäischen Parlaments bzw. des Rates (Art. 4 Abs. 4 des Protokolls). Die Entwürfe werden im Hinblick auf die Grundsätze der Subsi-diarität und der Verhältnismäßigkeit, einschließlich der finanziellen Auswir-kungen, begründet (Art. 5 des Protokolls).

Die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente (Bundestag und Bundesrat) können binnen (nunmehr) acht Wochen begründet darlegen, daß der Entwurf nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist (Art. 6 Abs. 1 S. 1 des Protokolls). Diese Stellungnahmen werden berücksichtigt (Art. 7 des Protokolls). Erreicht die Anzahl der begründeten Stellungnahmen, wonach der Entwurf eines Gesetzgebungsaktes nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang steht, mindes-tens ein Drittel der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten zugewiesenen zwei Stimmen (Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 des Protokolls), so muß der Entwurf „überprüft“ werden (Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 des Protokolls). Diese Schwelle beträgt nur ein Viertel der Stimmen, wenn es sich um einen Entwurf eines Gesetzgebungsaktes auf der Grundlage von Art. 61i (70) AEUV betre-fend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts handelt (Art. 7 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 des Protokolls).

Wenn aber an dem Entwurf festgehalten wird, ist das zu begründen (Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 des Protokolls). Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gelten nach Absatz 3 des Art. 7 des Protokolls Besonderheiten, nämlich:

„Erreicht die Anzahl begründeter Stellungnahmen, wonach der Vorschlag für einen Gesetzgebungsakt nicht dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, mindestens die einfache Mehrheit der Gesamtzahl der den nationalen Parla-menten nach Absatz 1 Unterabsatz 2 zugewiesenen Stimmen, so muß der Vorschlag überprüft werden. Nach Abschluß diese Überprüfung kann die Kommission beschließen, an dem Vorschlag festzuhalten, ihn zu ändern oder ihn zurückzunehmen“ (S. 2 und 3). „Beschließt die Kommission, an dem Vorschlag festzuhalten, so hat sie in einer begründeten Stellungnahme darzulegen, weshalb der Vorschlag ihres Erachtens mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. Die begründete Stellungnahme der Kommission wird zusammen mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente dem Unionsgesetzgeber vorgelegt, damit dieser sie im Rahmen des Verfahrens berück-sichtigt:

a) Vor Abschluss der ersten Lesung prüft der Gesetzgeber (das Europäische Parlament und der Rat), ob der Gesetzgebungsvorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht; hierbei berücksichtigt er insbesondere die ange-führten Begründungen, die von einer Mehrheit der nationalen Parlamente unterstützt werden, sowie die begründete Stellungnahme der Kommission.

b) Ist der Gesetzgeber mit der Mehrheit von 55% der Mitglieder des Rates o-der einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Europäischen Parlament der Ansicht, dass der Vorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, wird der Gesetzgebungsvorschlag nicht weiter geprüft“ (Abs. 2).

Dieses Verfahren grenzt an Lächerlichkeit, zumal die Subsidiaritätslage in jedem Land unterschiedlich ist und große Länder wie Deutschland nicht mehr Stimmen haben als kleine wie Malta. Was Deutschland als vergleichsweise Großstaat ohne weiteres bewältigen kann, können Kleinstaaten wie Malta, Luxemburg nicht bewältigen. Es ist nicht ersichtlich, daß die Europäische Union irgendeine Kompetenz für eine Politik hat, die Deutschland oder Öster-reich allein nicht „ausreichend verwirklichen“ könnte, meist besser, jedenfalls demokratisch weitaus stärker legitimiert. Aber auch umgekehrt haben Kleinstaaten Verhältnisse, welche einer gemeinschaftlichen Politik eher entgegen-stehen, als die Verhältnisse von Großstaaten, etwa die Regelung des Bankgeheimnisses.

Der Gerichtshof der Union hat über die Klagen wegen Verstoßes eines Ge-setzgebungsaktes gegen das Subsidiaritätsprinzip zu entscheiden (Art. 8 des Protokolls). Dieser Gerichtshof läßt jedoch wenig Schutz des Subsidiaritäts-prinzips erwarten. Das letzte Wort muß wegen der existentiellen Staatlichkeit Österreichs auch in der Subsidiaritätsfrage der Verfassungsgerichtshof haben, der entscheiden muß, wieweit die Hoheitsrechte nach Art. 9 Abs. 2 B-VG auf die Europäische Union übertragen sind.

Das Subsidiaritätsprinzip ist eine Kompetenzausübungsschranke. Die Verletzung der Kompetenz durch die Organe der Union hat bisher zur Folge, daß Rechtsakte der Union in den Mitgliedstaaten, auch in Österreich, jeden-falls in Deutschland keine Wirkung entfalten, weil der Union Hoheitsrechte nur begrenzt übertragen sind. Zu den Grenzen gehört auch die Kompetenzausübungsschranke des Subsidiaritätsprinzips. Materiell kann dieses Verfassungsprinzip an sich durch eine prozedurale Regelung nicht relativiert werden, wenn aber den nationalen Gerichten die Feststellung der Kompetenzwid-rigkeit von Rechtsakten der Union wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips verwehrt ist, weil kein Verfahrensweg eröffnet ist, kann die Wirkungslo-sigkeit der Rechtsakte der Union nicht zur Geltung gebracht werden. Für die Praxis macht die prozedurale Unangreifbarkeit keinen Unterschied zur materiellen Rechtmäßigkeit. Diese Rechtslage ist nicht ungewöhnlich. Sie kommt in all den Fällen zum Tragen, in denen die Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit von Staatsakten nicht oder nicht mehr geltend gemacht werden kann. Rechtswidrige Verwaltungsakte, die nicht mehr angefochten werden können, haben beispielsweise Bindungswirkung.

Die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips ist wegen der Verletzung der politischen Freiheit immer eine Verletzung der allgemeinen Freiheit und damit eine Grundrechteverletzung. Unabhängig davon, ob derartiges Unrecht durch Rechtsakte der Union nunmehr letztverbindlich von der Unionsgerichtsbarkeit entschieden wird oder richtigerweise von den nationalen Gerichten letztver-bindlich zu entscheiden ist, weil ja die dem Subsidiaritätsprinzip widerspre-chenden Rechtsakte der Union keine Wirkung in Österreich zu erzielen vermögen, wäre das Rechtsschutzprinzip, ein Baugesetz 731 , verletzt, wenn die Mißachtung des Subsidiaritätsprinzips nicht mehr zur Geltung gebracht wer-den könnte, weil der Nationalrat und der Bundesrat von der Möglichkeit des Art. 8 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Die Klagemög-lichkeit nach Art. 8 des Protokolls ist gemäß Art. 230 (263) Abs. 5 AEUV auf zwei Monate befristet. Wirksamer Rechtsschutz ist Teil des Rechtsstaatsprin-zips als Baugesetz und steht im Rechtsstaat nicht zur politischen Disposition.

Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Strukturprinzip der Demokratie. Demokratie gibt es nur in kleinen Einheiten (dazu A, II, V). Das Subsidiaritätsprinzip ordnet die Kompetenzen entgegen dem Zentralismus im Sinne des Vorrangs der kleinen Einheiten. Demgemäß ist eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips immer zugleich eine Verletzung des demokratischen Prinzips. Auch die Vertretung des ganzen Volkes ist nur verfassungsgemäß geordnet, wenn die Integrationspolitik das Subsidiaritätsprinzip achtet. Neben dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung folgt somit aus dem grundrechtsgleichen Recht des Art. 26 Abs. 1 B-VG der verfassungsbeschwerdefähige Grundsatz der Subsi-diarität der Unionskompetenzen. Außerdem ist das Subsidiaritätsprinzip durch die allgemeine Freiheit grundrechtlich geschützt. Allemal die Kompetenz-Kompetenzen, die zu H, I bis IV aufgeführt sind, mißachten neben dem Prin-zip de begrenzten Ermächtigung auch das Subsidiaritätsprinzip. Richtigerweise muß das Subsidiaritätsprinzip durch die primärrechtlichen Vertragstexte materialisiert werden. Bereits die Übertragung der Hoheitsrechte nach Art. 9 Abs. 2 B-VG muß dem Grundsatz der Subsidiarität genügen, auch deswegen, weil nur das primäre Unionsrecht der verfassungsrechtlichen Prüfung des Verfassungsgerichtshofs in letzter Verantwortung nicht entzogen werden kann. Das sekundäre Unionsrecht wird wegen des praktizierten Vorrangs des Unionsrechts vor dem nationalen Recht letztverantwortlich von den Unionsgerichten daraufhin überprüft, ob es dem primären Gemeinschaftsrecht ent-spricht, insbesondere den Grundrechten und nunmehr auch dem Subsidiari-tätsprinzip. Das ist der verfassungswidrige Zweck des Art. 3b (5) Abs. 3 EUV, des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.

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